#129 Die Überzeugung, dass es so etwas wie Wahrheit gibt, befördere, so behaupten manche, nur Streit und Unfrieden. Andere dagegen sehen doch eher Lüge und Vorurteil als das Gift zwischen den Menschen.  Wahrheit als Idee loszuwerden, damit es keine Debatten mehr gibt, was denn stimmt und was nicht, ist der große Traum der Lügner und Giftmischer dieser Welt. (Frank Taherkhani)

Wie kann man Wahrheit definieren?

Ich würde auf den Wikipedia-Artikel verweisen, der den Begriff ausführlich diskutiert. Die dort einleitend gegebene Definition:

„Gemeinhin wird die Übereinstimmung von Aussagen oder Urteilen mit einem Sachverhalt, einer Tatsache oder der Wirklichkeit im Sinne einer korrekten Wiedergabe als Wahrheit bezeichnet.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit

Beispiel: Die Aussage, dass mein Reisepass in der Schublade meines Schreibtisches liegt, ist dann (und nur dann) wahr, wenn mein Reisepass in der Schublade meines Schreibtisches liegt.

Im Aphorismus ist Wahrheit der Gegenbegriff zu Lüge und Vorurteil. Wenn es keine Wahrheit gibt, ist insbesondere der Begriff der Lüge sinnlos (ebenso wie der des Irrtums).

Zudem wird die Idee der Wahrheit im Aphorismus als Voraussetzung bestimmt, um überhaupt debattieren zu können, was stimmt und was nicht. Wenn man voraussetzt, dass es keine Wahrheit gibt, sind solche Debatten sinnlos. Ist alles kritische Prüfen sinnlos. Was eben das Kalkül hinter dem großen Traum der Lügner und Giftmischer ist.

Freilich gibt es Bereiche, in denen es tatsächlich sinnlos ist, nach der Wahrheit zu fragen, etwa beim subjektiven Geschmack.

Noch zwei schöne Grafiken:

Anmerkung zu #35:
Physik: Was schön ist, muss wahr sein?

Wir haben immer Konzepte, die uns bei der Suche nach der Wahrheit leiten. Obwohl an ihnen so viel hängt, wird auf ihre Reflexion erstaunlich wenig Mühe verwand. Sogar in einer Wissenschaft wie der Physik, was der großartige (deutschsprachige) Vortrag der Physikerin Dr. Sabine Hossenfelder zeigt.

Dr. Sabine Hossenfelder
Dr. Sabine Hossenfelder

Was läuft falsch in der gegenwärtigen Physik? (Vortrag)
https://youtu.be/99hVAu1k6G8

Aus der Beschreibung:

„Physiker glauben häufig, dass die besten Theorien schön, natürlich und elegant sind. Was schön ist, muss wahr sein.

Dr Sabine Hossenfelder zeigt jedoch, dass die Physik sich damit verrannt hat. Der Glaube an Schönheit ist so dogmatisch geworden, dass er nun in Konflikt mit wissenschaftlicher Objektivität gerät.“

Ich halte den (auch für Physik-Laien gut verständlichen) Vortrag für im besten Sinne philosophisch, weil Sabine Hossenfelder deutlich macht, wie enorm wichtig es ist, sich die begrifflichen Grundlagen genau anzuschauen, mit denen man arbeitet. Immerhin sind Schönheit und Eleganz alles andere als physikalische Begriffe! Oder überhaupt Begriffe der empirischen Wissenschaften, es sind ästhetische.

Am Ende des Vortrags stellt die theoretische Physikerin fruchtbarere Konzepte vor, an denen sich die Forschung orientieren kann.

Wer lesen will, hier ein Interview mit der FAZ:
Krise der Physik – Verführte Physiker

Zwei Zitate daraus:

„Und wenn Sie sich anschauen, in welcher Phase ihrer Karriere Physiker anfingen, über Schönheit zu faseln, dann war das in der Regel, nachdem ihnen ihre großen Durchbrüche gelungen waren. Und diese Durchbrüche hatten dann nichts mit Schönheit oder Hässlichkeit zu tun.“

„Aber wenn Sie dann nur Theorien haben, die eingeführt wurden, weil das Standardmodell einem nicht hübsch genug war, dann ist das meiner Meinung nach eben eine schlechte Idee.“

Über Sabine Hossenfelder:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sabine_Hossenfelder